Und jetzt Berlin

Berlin habe ich immer nur bruchstückhaft wahrgenommen. Mal ein Event organisiert, mal an einem Meeting teilgenommen, früher auch mal die IFA…und mein Eindruck von der Stadt und ihren Bewohnern war nie sonderlich vorteilhaft. Vor einem Jahr erst ein motzender Taxifahrer, als ich am BER eingestiegen bin und in die Stadt wollte. Warum er motzte? Wusste er wahrscheinlich selbst nicht, war einfach Teil seiner DNA. Und diese Sprache, diese Sprache. Manche mögens. Ich definitiv nicht.

Also ich wollte mal sehen, ob es immer noch so … schlimm ist, oder ob es langsam normaler wird.

Es wird.

Diesmal habe ich sehr wenig Berlinerisch gehört, eine Frau die ihrer Freundin telefonisch den neuesten Familientratsch durchgab. Zwei Rentner, die sich – aber nett! – unterhielten. Es war schon fast sehnlichst vermisste Authentizität, als ein U-Bahnfahrer sich über ungezogene Fahrgäste aufregte und lautstarke Durchsagen machte.

Dafür habe ich viel Spanisch, sehr viel Englisch / amerikanisches Englisch, und viel Östliches, ich vermute Ukraninisch, gehört. Französisch, Portugiesisch, eine italienische Familie trug ihre Streitigkeiten lautstark in der Tram aus. Und Deutsch, auch.

Im Rahmen der Führungen, die ich gebucht habe, viel Neues über die Entwicklungen erfahren. Einmal eine Führung durch das politische Berlin, inklusive Reichstagsbesichtigung. Unser Guide (aus Chicago 🙂 ) meinte, nur noch ein Viertel der Einwohner ist gebürtig aus Berlin. Der Rest ist aus ganz Deutschland und allen möglichen anderen Ländern eingewandert. Das merkt man schon, wenn ich auf meine subjektiven bisherigen Erfahrungen schaue 🙂

Viele interessante Dinge erfahren, über die Arbeitsweise des Bundestages, über das architektonische Was-Wäre-Heute, wenn 1945 alles anders gekommen wäre, Stichwort Germania, und große Erleichterung, dass der Krug zerbrochen ist. Sorry for mixing metaphers.

Warum haben einige Stühle im Bundestag erhöhte Lehnen, wie schnell arbeiten die Stenographen, wie oft werden die Vizepräsidenten in den Sitzungen ausgetauscht, warum ist es gut, wenn das Parlament leer ist….

Was hat mich beeindruckt hat:

  • Positiv Stichwort Stenographen. Bislang ist keine Technik in der Lage, den Austausch im Parlament korrekt und vollständig aufzufangen. Aber diese Menschen, die dort bis zu 500 Silben in der Minute aufzeichnen können, haben nicht nur die Worte im Blick, sondern wissen auch, welche*r Abgeordnete*r welchen Zwischenruf gemacht hat. Sie erkennen alle aktuelle 736 Abgeordnete. Respekt!
  • Negativ Stichwort Grenell – erinnert sich jemand? Er wollte an den nachhaltigen Effekt der Rede Ronald Reagans „Tear down that wall“ erinnern. Daraufhin regte er an, eine Statue Ronald Reagans aufzustellen. Diese Initiative ist von der Stadt milde abgewiesen worden – tolle Idee, im Moment aber eher nicht umsetzbar. Grenell hat sich davon nicht allzusehr beeindrucken lassen, und hat auf eigene Kosten eine Statue giessen lassen. Im Folgenden war es aber schwierig, einen geeigneten Standort zu finden, insbesondere ohne jede Unterstützung der Stadt Berlin. Wenn Sie das nächste Mal auf dem Dach des Reichtags stehen, schauen Sie doch mal über das Brandenburger Tor hinweg, auf das Dach der US-Botschaft. Ja genau, was aussieht wie…ich weiss nicht, vielleicht ein Wasserschaden…also das ist die Statue. Immerhin hat sie einen tollen Blick auf den Tiergarten.

Im Rahmen einer weiteren Führung, diesmal ein zugewanderter Norddeutscher, viel über das Alltagsleben in Berlin früher und heute erfahren. Es ging durch die Berliner Hinterhöfe, wir haben kaum mehr als ein, zwei Kilometer zurückgelegt, aber Jahrhunderte abgedeckt. Vor 150 – 200 Jahren entstanden im heutigen Berlin Mitte eine Vielzahl von metallverarbeitenden Betrieben, Stichwort Feuerland. 41 % der Kinder hier erreichte das 5. Lebensjahr nicht. Die hygienischen Bedingungen müssen katastrophal gewesen sein. Ein Donnerbalken im Hof für wieviel Hundert Menschen. Und sagt Ihnen der Ausdruck Schlafgänger etwas? Mary Barton lebte auch an der Spree.

Die Hackeschen Höfe als Beispiel für ein durchdachtes Konzept, das Bewohnern wie Gewerbe dient. Der erste Hof für Theater und Restaurants, hell und aufwändig gefliest, Jugendstil, einfach schön, diente dem Amüsemang. Viel Luft und Licht vorhanden. Dito im zweiten Hof, in dem die Gewerbe und Gewerke ihr Zuhause fanden. Hier weniger schön als praktikabel – hell, damit das Sonnenlicht reflektieren kann. Die Wohnhöfe, immer noch viel Luft und Licht und Balkone. Heute wahrscheinlich unbezahlbar.

Der Berliner Handwerkerverein als Keimzelle für Änderung, Fortschritt und Verbesserung. Und 1933 flugs verboten und das Gebäude für ein Zwangsarbeiterlager genutzt. Nochmal Erleichtung über Was-Hätte-Sein-Können versus was heute Realität ist.

Ansonsten: Gutes, trockenes Wetter gehabt, während der Westen Europas in Sturm und Regen unterging – Ciaran. Ein nettes Hotel mit kaltem Rührei. An allen drei Tagen! Nunja, beim nächten Besuch werde ich ohnehin eher in Richtung Stadtmitte gehen, weil es ist einfach spannend und lebendig. Nächster Besuch? Ja, unbedingt! Berlin ist toll!!!!

Beitragsbild von Ingo Joseph via pexels.com. Und wenn meine Dropbox sich entschliesst meine Bilder hochzuladen, kann ich auch noch ein paar selbst geschossene Bilder einfügen.